Spezielle Rehabilitationsprogramme für ältere Menschen mit Sehverlust gefordert
Im Vorfeld der vierten Fachtagung "Sehen im Alter" des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) in Kooperation mit der BAGSO - Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen haben zwei Expertinnen die Notwendigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen für ältere Menschen mit Sehverlust betont. Diese Maßnahmen sollen die Selbstständigkeit wiederherstellen, Pflegebedürftigkeit verringern oder vermeiden und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Rehabilitation und Teilhabe seien eng miteinander verbunden, denn ohne Rehabilitation keine Teilhabe, so die Expertinnen auf dem Podium. Sie wiesen darauf hin, dass Menschen mit Beeinträchtigungen durch Rehabilitation umfassend unterstützt werden können, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es gelte jetzt, längst überfällige Konzepte für eine flächendeckende Versorgung zu entwickeln und diese konsequent umzusetzen. Die Fachtagung "Sehen im Alter" findet am 14./15. Juni 2024 statt.
Erkrankungen, die zu Sehverlust führen, treten nicht nur häufiger mit zunehmendem Alter auf, sondern gehen oft auch mit weiteren Einschränkungen einher. "Ältere Menschen mit Seheinschränkungen bilden daher eine besonders vulnerable Gruppe innerhalb der blinden und sehbehinderten Bevölkerung", erklärt Dr. habil. Sabine Lauber-Pohle von der Philipps-Universität Marburg. Sie stellte auf der heutigen Presseveranstaltung aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt "LiA - Lebenspraktische Fähigkeiten im Alter" vor. Das Projekt untersucht die Lerninhalte und die didaktische Gestaltung von Rehabilitationsprogrammen für Senioren mit einer langjährigen sehenden Vorerfahrung, die nun von Sehverlust betroffen sind.
"Die Teilnehmenden bestätigten uns, dass eine spezielle Schulung zu lebenspraktischen Fähigkeiten gerade im höheren Lebensalter wichtig ist, um die Selbstständigkeit zu erhalten, Lebensqualität zu verbessern und den Betroffenen die Anpassung an altersbedingte Veränderungen zu erleichtern", so Lauber-Pohle. Diese Erkenntnis sei nicht neu, trotzdem ist eine solche medizinische Rehabilitationsleistung nach Sehverlust keine Regelleistung. Bestehende Orientierungs- und Mobilitätstrainings konzentrieren sich ausschließlich auf die individuelle Schulung im Gebrauch des weißen Blindenlangstocks.
Weiterführend dazu wurden auf der Pressekonferenz auch Ergebnisse eines vom DBSV durchgeführten Projektes vorgestellt. Unter dem Titel "Partizipation älterer Menschen mit Behinderungen stärken" richtet es sich gezielt an Betroffene und deren Angehörige und untersuchte, welche Hindernisse ältere Menschen mit Sehbehinderung auf dem Weg zur politischen und gesellschaftlichen Partizipation erfahren. "Ein zentrales Ergebnis ist, dass fehlende Informationen, unzureichende Barrierefreiheit sowie der Mangel an Assistenzangeboten wesentliche Hürden darstellen", berichtete Ursula Kleinert, Mitglied der bundesweit gebildeten Fokusgruppe blinder und sehbehinderter Menschen, die die Studie durchgeführt hat. "Trainings in Orientierung, Mobilität und auch in lebenspraktischen Fähigkeiten erachteten die Betroffenen als besonders wichtig, um diese Hürden zu überwinden." Die benannte Studie wurde unterstützt durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung (gsub).
Die Ergebnisse beider Studien sollen nun genutzt werden, um bedarfsgerechte Konzepte zum Kompetenzaufbau zu entwickeln und umzusetzen. "Es ist längst überfällig, dass wir Menschen mit Sehbehinderung passende Unterstützungsmöglichkeiten anbieten, um eine uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen", fasst Professor Dr. med. Focke Ziemssen, Tagungspräsident und Direktor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) zusammen. Für den Experten ist klar, dass diese Konzepte eng ineinandergreifen müssen. Rehabilitation sei schließlich nicht nur Selbstzweck, sondern von entscheidender Bedeutung für die Partizipation an politischen und gesellschaftlichen Prozessen. "Wir müssen es Betroffenen ermöglichen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, indem wir ihre Stimme und Einflussnahme in der Gemeinschaft stärken."
Quelle: dbsv-direkt
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Melanie Wölwer
Pressesprecherin